Die Virtus Global Games sind der weltweit größte Wettbewerb für Spitzensportler mit einer geistigen Beeinträchtigung, der alle vier Jahre im Jahr vor den Paralympics stattfindet. Die Spiele fanden in diesem Jahr zum sechsten Mal statt. Veranstalter der Spiele Anfang Juni in der französischen Stadt Vichy war die Fédération Française du Sport Adapté (FFSA) als größter Verband für Sportler mit Behinderung in Frankreich. Aus Deutschland haben die beiden Reiterinnen Tatjana Raible aus Horb am Neckar und Janine Schwirblat aus Münster mit Erfolg teilgenommen.
Die Reiterinnen Tatjana Raible und Janine Schwirblat, Marc Truffaut (Präsident von VIRTUS und Präsident von der Fédération Française du Sport Adapté) sowie die Trainerinnen Martina Schuchhardt und Christa Hinrichsen. Foto: privat
Martina Schuchhardt aus Münster, Ausbilderin im Pferdesport für Menschen mit Behinderung (DKThR) sowie Mitglied der DKThR-Arbeitsgruppe „Pferdesport für Menschen“ gehörte zum Trainer- und Betreuerteam des deutschen Duos. Sie berichtet:
„Es war ein tolles Event, für das sich die Deutschen ‚ID-Reiter‘ qualifiziert hatten. ID steht für ‚Intellectual disability’, zu Deutsch ‚geistige Beeinträchtigung‘. Erstmalig hatten sie die Möglichkeit, an einem internationalen Reitturnier in der Präsenz teilzunehmen.
Bisher waren es nur Wettkämpfe, die als Video-Competition durchgeführt wurden. Diese Video-Competitions finden einmal jährlich statt. Dabei werden die Ritte gefilmt und per Video den internationalen Richtern in verschiedenen Ländern zur Bewertung vorgelegt. Alle Videos werden nach strengen Virtus-Vorgaben erstellt. Genau vorgeschrieben wird die Ausrüstung, Hilfszügel sind nicht erlaubt. Um auszuschließen, dass kein Turniervideo eingereicht wird, müssen alle Pferde Bandagen tragen.
Bei den Global Games in Vichy nahmen 18 Reiter aus sieben Nationen teil. Dabei waren Reiter aus Australien, Frankreich, Großbritannien, Spanien, Taiwan, den USA und eben Deutschland. Die besondere Herausforderung lag darin, dass ein Teil der Reiter auf zur Verfügung gestellten Pferden an den Start ging. Darunter auch die beiden deutschen Reiterinnen Tatjana Raible und Janine Schwirblat. Beide hatten sich im Rahmen der Video-Competition 2022 für die Global Games qualifiziert.
Die Reiterinnen hatten die Möglichkeit, sich an zwei Tagen vor den Wettbewerben mit ihren zugewiesenen Pferden vertraut zu machen und zu trainieren. Das Zusammenspiel funktionierte schnell und gut und sowohl die Reiterinnen als auch die Pferde machten einen tollen Job. Nach jeweils nur vier Trainingseinheiten absolvierten Tatjana Raible und Janine Schwirblat ihre Prüfungen. Die Teams aus Frankreich, Spanien und Taiwan hatten eigene Pferde dabei.
Hervorragend schnitt das Team aus Australien ab. Es gewann in der Teamwertung vor Spanien und Frankreich. Auch in der Einzelwertung konnte es sich die Gold- und Silbermedaille vor Frankreich sichern. Tatjana Raible und Janine Schwirblat lagen in der Endwertung auf den Plätzen acht und neun. Für beide Reiterinnen war es eine neue Erfahrung, Pferde zu reiten, die auf die feinsten Hilfen reagiert haben. Beide sind es eher gewohnt, auf etwas ‚gemütlicheren‘ Therapiepferden zu trainieren. Sie haben es aber sehr gut geschafft, sich auf ihre beiden zur Verfügung gestellten Pferde einzustellen.
Tatjana Raible und ihre Trainerin Christa Hinrichsen sowie Janine Schwirblat und ihre Trainerin Martina Schuchhardt. Foto: privat
So haben wir alle viel dazugelernt. Das Niveau ist schon allein durch die Aufgabenstellung deutlich höher als bei den Special Olympics. Übrigens haben bereits beide deutschen Reiterinnen erfolgreich an Special Olympics World Games teilgenommen.
Als Prüfungsaufgabe war den Teilnehmern der FEI Grade IV Novice Test A aus dem Bereich der Para-Equestrian Dressur vorgegeben. Diese Aufgabe hat Anforderungen ähnlich einer L-Dressur im Regelsport. Für die Reiterinnen mit mentaler Beeinträchtigung ist es herausfordernd, dass die einzelnen Lektionen recht schnell hintereinanderkommen. Es erfordert eine gute Feinabstimmung mit dem Pferd, um einen harmonischen Ritt zu zeigen. Dazu kommt noch die Prüfungsanspannung von Reiter und Pferd, wobei sich das Paar erst zusammenfinden muss. Das ist eine besondere Herausforderung nach den wenigen Trainingseinheiten. Schön wäre es, wenn wir zukünftig noch mehr Trainingsmöglichkeiten auf unterschiedlichsten Pferden wahrnehmen könnten.
Janine Schwirblat und Tatjana Raible inmitten des internationalen Teilnehmerfeldes. Erlebnisse, die sie nie vergessen werden. Foto: privat
Diese Weltspiele hatten auf jeden Fall ihren ganz besonderen Charme. Vom Einmarsch der Nationen, der Eröffnungsfeier, dem Galaabend über das tägliche Abendessen im Palais des Congrès de Vichy mit allen Athleten bis zur Abschlussfeier.
Nicht nur der Galaabend, sondern auch das tägliche Abendessen mit allen Athleten fanden im Palais des Congrès de Vichy statt. Foto: privat
Im Palais des Congrès de Vichy . Foto: privat
Ein weiteres Highlight war das Baumpflanzen der Nationen vor der Abschlussfeier. Jede Nation pflanzte auf einem vorbereiteten Areal einen Baum für Nachhaltigkeit und Zusammenhalt. Da herrschte schon eine besondere Atmosphäre.
Die Video-Competition 2023 fand mittlerweile auch statt. Die virtuellen Wettkämpfe waren Ende August in ein Trainingswochenende in Fürstenau (NI) eingebettet.
Unser Ziel ist es, weiterhin regelmäßig an internationalen Video-Competitions teilzunehmen, natürlich mit dem Blick auf die nächsten Virtus Global Games in vier Jahren. Da wollen wir natürlich wieder dabei sein!
Wünschenswert wäre es, wenn die ID-Reiter vom Paralympischen Komitee aufgenommen und mit einen Grade VI offiziell anerkannt würden. Das würde neben der höheren Anerkennung und besseren Akzeptanz auch die Finanzierung einfacher machen. Denn ohne Anerkennung ist es schwer, an offizielle Fördergelder zu kommen. Bisher müssen alle Kosten privat getragen werden, es sein denn, es finden sich Stiftungen, Vereine oder privat organisierte Sponsoren.
Ein großer Dank geht an die Sponsoren, die eine Teilnahme an den Virtus Global Games für unsere beiden Reiterinnen überhaupt erst möglich gemacht haben. Danke auch an Uta Rindfleisch-Wu, Amanda Rodgers, das gesamte Orga-Team von Virtus und die Pferdebesitzer, die bereit waren, ihre Pferde für dieses Event zur Verfügung zu stellen.“
Großartige Botschafter Deutschlands in Vichy. Foto: privat